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Auf Spurensuche bei den Legenden (Teil 1)

Ich durfte  Frieda Rieger, meine Urgroßmutter väterlicherseits, in jungen Kindheitstagen noch erleben und habe auch durchaus noch die eine oder andere Erinnerung an sie. So zum Beispiel, wie sie als kleine, knitzige Frau in ihrem Appartement in Feuerbach saß und uns freudig begrüßte, wenn ich und meine Eltern sie besuchten. Ihre Augen schienen immer irgendwie lebhaft zu funkeln und ich habe sie immer nur als freundlich und lachende »Tick-Tack-Oma« in Erinnerung. Aber auch die Rolle Toggenburger, die immer auf dem Esstisch lag und von der ich immer einen Keks bekam, werde ich mit ihr verbinden.

Porträt von Frieda Rieger [1]

Mit der Ahnenforschung habe ich erst ein paar Jahre später nach ihrem Tod begonnen. Über den vorliegenden Ariernachweis von meinem Opa  Erwin Karl Geiger konnte ich die Linie schon einigermassen gut erfassen und konnte folgende Ahnenlinie aufzeichnen:

  1. Frieda Rieger ( 1897 Mühlacker-Dürrmenz ;  1981 Bad Cannstatt)
  2. Viktoria Rieger ( 1862 Unterdeufstetten;  1950 Markgröningen)  Johannes Bermanseder
  3. Elisabeth Rieger ( 1838 Unterdeufstetten;  1882 Schwäbisch Gmünd)  N.N.
  4. Niklaus Rieger (*1801 Hirlbach ;  1863 Unterdeufstetten)  Viktoria Schmid

Um diesen Ariernachweis rankte sich immer die Legende, dass genau mit diesem Vorfahrenzweig irgendwas nicht stimmte und man einige Nachweise liefern musste, bis er endgültig anerkannt wurde. Die Umstände selber war damals aber nicht mehr zu ermitteln. Eventuell wurden sie verdrängt oder hat man sie einfach nicht wirklich weitergegeben.

Aus dem Ariernachweis war somit nur zu ermitteln, dass Viktoria ein uneheliches Kind ist und dass ihr Vater unbekannt ist. Viktoria selber war auch nicht verheiratet, jedoch war der Vater der Kinder bekannt und in den Akten eingetragen. Also eigentlich nichts besonderes, sondern etwas, was über die Jahrhunderte hinweg betrachtet immer mal wieder vorgekommen ist und nicht unbedingt eine Seltenheit darstellen dürfte. Dies konnte es also nicht sein!

Also schrieb ich damals das mir bekannte Standesamt Unterdeufstetten an und bat um den Familienauszug von  Viktoria Rieger und  Johannes Bermanseder – es war noch in den 1990er Jahre, also nichts mit Internet & Co.  Nach ein paar Wochen bekam ich erstaunlicherweise zwei Auszüge vom Standesamt zurück gesandt. Okay, damit hatte ich so nicht gerechnet und machte mich zeitnah daran, diese entsprechend auszuwerten.

Die erste Überraschung war: die Familienverhältnisse waren doch nicht so eindeutig, sondern eher als sehr speziell anzusehen. Ich habe auch etwas gebraucht, bis ich mir die Familienkonstellation vorstellen konnte – ich war noch recht neu am Anfang meiner Forschung und hatte bis dahin keine besonderen Spezialfälle vorzuweisen – aber nach ein paar Tagen und mit einigen Skizzen konnte ich den Knoten in meinem Kopf lösen.

So stellte sich heraus, dass  Elisabeth Rieger eigentlich  Johannes Bermanseder im Jahre 1873 in Unterdeufstetten geheiratet hatte. Die  Viktoria Rieger kam als uneheliches Kind mit in die Familie. Elisabeth ist aber nach 9 Jahren schon verstorben und diese Ehe blieb soweit kinderlos bzw. es es kam nur zu einer Todgeburt. Viktoria blieb bei ihrem Stiefvater und zeugte mit ihm die  Frieda Rieger sowie den drei Jahre jüngeren Bruder  August Rieger ( 1894 Eutingen;  o.A.). Beide wurden später zusätzlich noch notariell bestätigt und als die beiden einzigen Kinder zwischen Viktoria und Johannes dokumentiert.

Wie ich später noch herausfinden sollte, waren es aber nicht die einzigen Kinder! Johannes ging mehr oder weniger gleich nach dem Tode seiner Frau Elisabeth eine eheähnliche Lebensgemeinschaft mit seiner Stieftochter ein und hatte schon das erste Kind ein Jahr nach dem Tod der offiziellen Ehefrau!

Somit konnte ich als zweite Überraschung auch gleich meinen ersten Ahnenschwund aufdecken – neben dem doch komisch zumutbaren Umstand der besonderen Familienverhältnisse und dem faden Beigeschmack, dass dies vielleicht nicht in allen Belange ganz legitim war, was damals passierte1). Daher konnte ich mir schon gut vorstellen, dass dies zu diversen Nachfragen beim Erstellen des Ariernachweises geführt haben kann. Diese Besonderheit zeigte sich auch durch die notarielle Befragung von  Viktoria Rieger über ihre Lebensumstände und wie sich die einzelnen Beziehungen aus ihrem Blickwinkel darstellen. Diese Akte lag dem Ariernachweis nämlich bei!

Die Familienverhältnisse, wie sie sich nach den Standesamt-Auszügen ergeben:

Darstellung der Familienverhältnisse, wie sie sich nach den Standesamt-Auszügen ergeben [2]

Mit dieser Erkenntnis schloss ich damals die Untersuchungen erst einmal ab und wähnte mich im Glauben, die Legende gelöst und gefunden zu haben. Dass ich aber hier erst die Spitze des Eisberges betrachtet habe, zeigt sich erst viele Jahre bzw. Jahrzehnte später so richtig. Und dieser Zweig hat noch viel Interessantes und Spannendes zu berichten … Fortsetzung folgt mit Teil 2!

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1) Nachtrag: beim Aufsetzen der Fortsetzung bin ich in meiner Datenbank noch über eine ältere Notiz »gestolpert«, die ich damals schon betreffend Beziehungsverhältnisse betreffend Stiefväter und Stieftöchter angelegt hatte:

Eine Heirat mit Johannes Bermanseder war rechtlich nicht möglich da eine Schwägerschaft vorliegt. Im Rechtssinn sind auch Stiefkinder mit ihren Stiefeltern nicht verwandt, sondern verschwägert.

Sowohl im Römischen Recht (Corpus Iuris Civilis) als auch in biblisch-alttestamentlichen Rechtsvorstellungen, die über das mittelalterliche Kirchenrecht bis weit in die Neuzeit hinein in vielen Teilen Europas bzw. des europäisch geprägten Kulturraums als geltendes Recht fungierten, wurde zwischen Verwandtschaft und Schwägerschaft nicht unterschieden: Mit der Eheschließung zweier Menschen wurde ein der Blutsverwandtschaft analoges Verhältnis zwischen den beiden Familien begründet, weswegen i. d. R. Schwagerehen oder Geschwisterehen (womit sowohl die Heirat zweier Geschwisterpaare als auch die Heirat eines Geschwisters durch denselben Partner z. B. nach dem Tod des ersten Ehepartners gemeint sein kann) verboten oder nur in besonderen Ausnahmefällen mit ausdrücklicher Dispens möglich waren. (Außereheliche) sexuelle Beziehungen zwischen Schwiegern, Schwägern, aber auch z. B. zwischen Stiefeltern und Stiefkindern wurden rechtlich wie Inzest behandelt. Zwar hob das Allgemeine Preußische Landrecht von 1794 die meisten Eheverbote bzgl. der Schwägerschaft auf, ließ jedoch das Verbot der Ehe zwischen Schwiegereltern und ihren Schwiegerkindern (z. B. nach dem Tod des ursprünglichen, das Schwiegerverhältnis begründenden Ehepartners) fortbestehen.
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Quelle: https://de.wikipedia.org/wiki/Schw%C3%A4gerschaft

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Bildnachweise:
[1] Aus meiner private Sammlung
[2] Eigene Darstellung