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Auf Spurensuchen bei den Legenden (Teil 3)

Mit den vielen neuen Daten aus den neu gewonnenen Vorfahren ließen sich jetzt auch relativ gut die damaligen Lebenssituationen erforschen. In den Anfangszeiten noch Bauern, ging man anfangs 1800 über, dass man immer mehr als Händler unterwegs war. Insbesondere die Berufsbezeichnung von  Viktoria Rieger als »Inhaberin einer Geschirrhandlung« lässt hier aufhorchen, da dies für die damalige Zeit doch schon etwas Besonderes gewesen sein muss – aber meine parallel laufende Familienchronik räumte diesen Erkenntnissen wieder einmal eine geringere Priorität ein und stellte andere Themen in den Vordergrund. Und da kam der besagte  Artikel aus der Computergenealogie Heft 2/2024 ins Spiel!

 [1]

Dabei stieß ich auf eines der Schwerpunktthemen »Wohnen unterwegs: Jenische Wohnformen in Europa seit dem 18. Jahrhundert«, was in mir wieder die Beschäftigung mit der europäischen Minderheit der (Volks-)Gruppe der Jenischen auslöste. Schon vor einigen Jahren hatte ich mich kurz mit dem Thema beschäftigt, als ich in einer Zeitung einen  Artikel [2] über die Jenischen gelesen hatte. Aufgrund der spärlichen Informationen und auch wieder wegen der Beschäftigung mit für mich damals vermeintlich wichtigeren Themen habe ich das aber wieder in den Hintergrund gedrängt.

Was war der Grund, sich mit den Jenischen zu beschäftigen? Aus Erzählungenen von Familienmitgliedern hörte ich immer wieder, dass meine Urgroßmutter Frieda Rieger die Sprache des fahrenden Volkes verstanden oder sogar selbst sprechen konnte. Sie habe auch die Gaunerzinken lesen und deuten können. Davon wusste ich als Kind natürlich nichts und ehrlich gesagt habe ich auch nie etwas Ähnliches von ihr gehört oder bewusst wahrgenommen. Ich habe als Kind auch nicht darauf geachtet – es war für mich einfach uninteressant und wahrscheinlich auch nichts Besonderes, wenn sie so etwas jemals geäußert hätte. Deshalb habe ich das später auch erst einmal dem Reich der Mythen und Legenden zugeordnet. 

Im Zuge der Familienforschung und der Beschäftigung mit der Sippe Rieger tauchten aber immer wieder Hinweise auf, die mich stutzig machten bzw. das Kombinieren und Zusammenfügen der einzelnen Informationen wieder neue Aspekte zu Tage brachte:

  • Die Berufsbezeichnung von  Viktoria Rieger als »Inhaberin einer Geschirrhandlung«, und irgendwo wurde sie auch als »fahrende Händler(in)« bezeichnet
  • Ihr Stiefvater/Lebensgefährte  Johannes Bermanseder wird ebenfalls als »Händler« bezeichnet, wobei der Vater von Johannes ebenfalls »Händler« war
  • Ihre Mutter  Elisabeth Rieger war konfessionslos – was seltsam anmutet, da alle ihre Vorfahren und Nachkommen der römisch-katholischen Konfession angehören
  • Viele der Kinder wurden in Unterdeufstette geboren bzw. viele Ereignisse spielten sich in Unterdeufstetten und in der näheren Umgebung ab

In dem  damaligen Zeitungsartikel [2] war noch von den Jenischen in der Hohenlohe bzw. iin der Umgebung von Crailsheim die Rede, so dass ich einen indirekten Bezug zu Unterdeufstetten herstellte, da beides ca. 18 km voneinander entfernt liegt. 

Das in dem Text schon Unterdeufstetten genannt wird, muss ich damals ignoriert haben oder konnte die Verbindung auf die Schnelle nicht herleiten!

Durch den  Artikel von  CompGen [1] gab es nun zusätzlich eine umfangreiche Linkliste zum das Thema »Jenische«. Viele dieserLinks habe ich mir angeschaut und mich dadurch auch intensiver mit den Jenischen beschäftigt. Und je mehr ich mich damit beschäftigte, desto mehr kam ich zu der Überzeugung, dass auch meine Rieger damals unter den Jenischen lebten bzw. dieser Minderheit zuzuordnen sind – entweder zeitweise (wenn das überhaupt möglich war/ist) oder zumindest über mehrere Generationen hinweg!

Wer oder was sind Jenische?

Die Jenischen verstehen sich als eigenständiges Volk, was mit eigenen Traditionen und kulturellen Besonderheiten begründet wird. Fakt ist aber auch, dass die Jenischen deutsche Staatsbürger sind, sie sprechen deutsch, wenn auch teilweise noch mit einem eigenen Dialekt (Rotwelsch). Der Begriff »weiße Zigeuner« entstand, weil die Jenischen aufgrund ihrer Lebensweise fälschlicherweise mit den Sinti und Roma in Verbindung gebracht wurden. Über Herkunft und Geschichte lässt sich nicht viel sagen, da sie bis heute weitgehend ungeklärt und unerforscht sind.
 Eine gute Einführung bietet die Webseite des  Zentralrat der Jenischen Deutschland

Aus den Berichten und Verknüpfungen geht hervor, dass sich Unterdeufstetten als eines der größeren jenischen Siedlungsgebiete darstellt. Für ein wanderndes Volk mag eine Ansiedlung befremdlich erscheinen, aber die sogenannte »Reis« begann immer an Lichtmess (02. Februar) und dauerte ca. 140-150 Tage im Jahr, dazwischen lebte man in den Ansiedlungen über den Winter.

Aufgrund ihrer fahrenden Lebensweise übten die Jenischen traditionell bestimmte Berufe und Gewerbe aus. Sei es als Marktfahrer, Schausteller, Musiker, Korbflechter, Scherenschleifer, Besenbinder, Schrottsammler, Kurzwarenhändler oder Wanderhandwerker. Besonders mit dem Musiker verbinde ich noch den Bruder von  Frieda Rieger, der eine Ziehharmonika besaß, mit der er in der Nachkriegszeit die Alliierten in den Kneipen unterhielt und sich so ein Zubrot verdiente. Schaut man sich alte Fotos von Jenischen an, sieht man oft genau diese Kombination, wo Musiker mit einer Harmonika die Leute unterhalten. Vielleicht ein weiterer Hinweis?

[2]

Ob meine Rieger wirklich zu den Jenischen gehörten, ist bisher leider in keiner Quelle eindeutig beschrieben. Das hängt natürlich sehr stark damit zusammen, dass sie meist am Rande der Gesellschaft lebten und viel Ausgrenzung und Diskriminierung erfahren mussten. Man gab also nicht gerne zu, Jenischer zu sein, und viele tun sich auch heute noch schwer damit. Deshalb kann ich eigentlich nur mutmaßen und werde die Legende hier nie auflösen können, ob die Urgroßmutter wirklich die jenische Sprache diebern (sprechen) konnte. Aber irgendwie habe ich das Gefühl, dass es da einen Zusammenhang geben muss.

Eigentlich wollte ich die Serie nach diesem dritten Teil auf jeden Fall beenden. Weil ich dachte, jetzt habe ich alles zusammengetragen und die wichtigsten Informationen verarbeitet. Aber im Laufe dieser Serie bin ich wieder auf ein weiteres wichtiges Thema gestoßen, dem ich bisher überhaupt keine Beachtung geschenkt habe. Ja, wahrscheinlich sogar verdrängt, um nicht zu tief in den Sog der dunklen Zeitgeschichte gezogen zu werden.

So ist es mir nun ein Anliegen, dieses nun eher traurige und nachdenklich stimmende Thema doch noch aufzugreifen. Man kann und sollte darüber nicht wirklich schweigen und ich möchte auch einfach nur zum Nachdenken anregen... Also auf zum vierten Teil!

Nachtrag: Über die Verteilung bei  Mastodon hatte ich Kontakt mit einer Followerin, die über ähnliche Erkenntnisse und Erfahrungen berichtet hatte. Außerdem gab sie mir noch einen interessanten Link, der beim Durchlesen ebenfalls vieles widerspiegelt, was ich auch herausgefunden und empfunden habe:  Der Präsident und die verachteten »Kötten«!

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Bildnachweise:
[1] Compgen, »Computergenealogie/2024/Heft 2«, Inhaltsverzeichnis,  https://wiki.genealogy.net/Computergenealogie/2024/Heft_2 
[2] Eigene Aufnahme, Harmonikum in privatem Besitz

Quellen:
[1] Compgen, »Computergenealogie/2024/Heft 2«, Inhaltsverzeichnis,  https://wiki.genealogy.net/Computergenealogie/2024/Heft_2 
[2] Stuttgarter Zeitung, »Die Jenische in Hohenlohe – Fahrende Leut«, 19.05.2017, Autorin Tanja Kurz,  https://www.stuttgarter-zeitung.de/inhalt.die-jenischen-in-hohenlohe-fahrende-leut.c6abf343-f08c-40e7-9075-a1390559c960.html 
[3] Webseite »Zentralrat der Jenischen Deutschland«, Zentralrat der Jenischen in Deutschland e.V.,  https://zentralrat-jenische.de/